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Abteilungsgeschichte

von Wolfgang Leitner (1998 - Anlässlich zu unserem 20jährigen Jubiläum)

 

Vor kurzem fragte mich einer der jüngeren Ju-Jutsu-Schüler: „Warum hast du eigentlich mit dem Ju-Jutsu-Training begonnen?“ Ich gebe zu, dass mich die Frage zunächst in Verlegenheit brachte. Das Ju-Jutsu ist für viele von uns im Lauf der Jahre zu einem selbst-verständlichen Bestandteil des Lebens geworden und die Trainingsmotive haben sich verändert. Am Anfang stand die Faszination des Neuen und der Wunsch, eine effektive Methode der Selbstverteidigung zu erlernen. Unsere Erwartungen waren natürlich auch von Kung-Fu und Karate-Filmen geprägt und wir hatten entsprechende Phantasievorstellungen im Kopf. Nachdem wir erkannt hatten, dass die Kampfsport-Realität nichts mit der Filmwelt zu tun hatte, traten andere Dinge in den Vordergrund: Freude an der Technik und der Dynamik des Ju-Jutsu, körperliche Fitness, Schulung von Disziplin und Willenskraft und das Gemeinschaftserlebnis innerhalb der Gruppe. All dies sind jedoch nur Schlagwörter, die die Faszination Ju-Jutsu allenfalls andeuten, nicht jedoch erklären können. Die maßgebliche Frage ist auch nicht, weshalb wir mit dem Ju-Jutsu begonnen haben. Entscheidend ist vielmehr, warum viele von uns auch nach 10, 15 und 20 Jahren immer noch dabei sind und warum jedes Jahr erfreulicherweise neue Mitglieder hinzukommen. Die Antwort auf diese Frage ist nicht nur im Ju-Jutsu selbst, sondern vor allen Dingen in der Entwicklung unserer Abteilung zu suchen. Der folgende Rückblick versucht, diese Entwicklung in groben Zügen darzustellen. Wer nun eine historisch vollständige Darstellung der Vereinsgeschichte mit allen dazugehörigen Daten und Fakten erwartet wird enttäuscht sein. Dies wäre viel zu umfangreich und auch viel zu langweilig. Ich möchte lieber aus meiner Sicht einige wichtige Phasen der letzten 20 Jahre Ju-Jutsu Aschau wiedergeben und hierbei auch die Philosophie unserer Abteilung einfließen lassen. Wenn dabei auch subjektive Wertungen zum Zuge kommen liegt dies in der Natur der Sache und ich bitte hierfür um Verständnis.

 

 

1978 bis 1980

Das erste Ju-Jutsu-Training in Aschau fand im November 1978 auf einer improvisierten Mattenfläche statt. Es waren ca. 30 bis 40 Interessierte in der WSV-Turnhalle zusammengekommen, um die Einführung in die für uns noch unbekannte Kampfsportart mitzuerleben.

Der Gründungsvater der Abteilung war Sigi Gasbichler, der damals beim TuS Prien Judo und Ju-Jutsu betrieb. Seinem Engagement ist es zu verdanken, dass der WSV Aschau die damals noch neue Sportart als Abteilung aufnahm. In den ersten Monaten wurde die Trainingsarbeit von den Trainern der befreundeten Nachbarvereine unterstützt. Zu nennen sind hier Klaus Krank und Alex Berthold vom TuS Prien und Herbert Kropf vom ASV Grassau, der auch heute noch das Training in Grassau leitet und zum bayerischen Ju-Jutsu–Urgestein zählt.

 

Natürlich wollten wir alle möglichst schnell und am besten ohne allzu große Anstrengung den „schwarzen Gürtel“, aber wir mussten lernen, dass auch im Ju-Jutsu die Götter vor den Erfolg den Schweiß gesetzt haben. Nach neun Monaten Vorbereitung fand schließlich im August 1979 die erste Gürtelprüfung in der Aschauer Turnhalle statt. Es ging zwar nicht um den schwarzen, sondern um den gelben Gürtel, aber die Freude nach der bestandenen Prüfung war riesig. Zu dieser Zeit bildete sich bereits eine Art Stammbesetzung, da das Training regelmäßig und konsequent durchgeführt wurde und nur die wirklich Interessierten „auf der Matte“ blieben. Jeder konnte erkennen, dass sich das Ju-Jutsu nicht im Schnelldurchlauf erlernen lässt. Dies ist auch einer der Gründe, weshalb wir nie Probleme mit Schülern hatten, die nur lernen wollten, sich auf der Straße zu prügeln. Darüber hinaus wurde von Anfang an großer Wert auf die erzieherische Komponente des Ju-Jutsu gelegt. Damals wie heute gilt: „Wer das Ju-Jutsu missbraucht, fliegt raus!“

 

Ab 1980

Ein ernsthaftes Problem ergab sich, als Sigi Gasbichler 1980 aus beruflichen Gründen seine Trainingsarbeit aufgeben musste. Wir standen plötzlich vor der Entscheidung, entweder allein weiterzumachen oder uns einer anderen Ju-Jutsu-Abteilung in Prien, Grassau oder Rosenheim anzuschließen. Wir entschlossen uns weiterzumachen und ich habe damals zusammen mit meinem Freund Johann Guggenbichler die Abteilung übernommen. Die Situation war schwierig, da wir selber noch mehr oder weniger Anfänger waren und auf einmal die Verantwortung für das Training hatten. Wir trainierten deshalb jede Woche zusätzlich in Prien, Grassau oder Rosenheim, um das dort erlernte an unsere Aschauer Sportkameraden weitergeben zu können. Dies hatte den Vorteil, dass wir verschiedene Trainingsmethoden kennenlernten und das für unsere Gruppe geeignetste heraussuchen konnten. Am wichtigsten war damals das Vertrauen der anderen Mitglieder und auch das Vertrauen der damaligen WSV-Vorstandschaft unter der Leitung von Alois Heinrich. Immerhin war das Ju-Jutsu damals noch relativ unbekannt und die beiden Trainer gerade mal 18 Jahre alt. Darüber hinaus hatten wir das Problem, dass es bis 1985 keinen Ju-Jutsu-Wettkampf gab und wir deshalb im Gegensatz zu späteren Jahren keine Chance hatten, mit Wettkampferfolgen zu werben. Dennoch konnten wir uns in diesen Anfangsjahren als kleine aber beständige Gruppe behaupten, wenngleich wir manchmal zäh um unsere Hallenbelegungszeiten kämpfen mussten.

 

Die Weiterentwicklung

Die 80-er Jahre standen unter dem Zeichen der ständigen Weiterentwicklung. Wir alle absolvierten mit Begeisterung alle nur greifbaren Lehrgänge und Fortbildungsveranstaltungen. In regelmäßigen Abständen unterzogen wir uns einer Leistungskontrolle in Form von Gürtelprüfungen. Als ich im Jahr 1983 mein Studium in München begann nahm ich Kontakt zu Heinz Aßmus auf, der bereits damals einer der führenden Kampfsport-Lehrer in Deutschland war und neben dem Ju-Jutsu auch auf hohem Niveau Judo, Karate und Aikido betrieb. Es entwickelte sich eine intensive Zusammenarbeit zwischen der Münchener Schule und unserer Abteilung und wir hatten wieder einmal das Glück, neue Aspekte der Kampfkunst kennenzulernen und in unser Aschauer Training zu integrieren. Wir lernten, dass das Ju-Jutsu ein offenes System mit verschiedensten Ausprägungen ist und nach einer soliden Grundausbildung jeder seinen eigenen Weg innerhalb des Systems finden muss. Nicht jede Technik ist für jeden Schüler gleich gut geeignet und so ist jeder, der es zur Könnerschaft bringen will gezwungen, zunächst sich selbst, seinen Körper, seine Bewegung, seine Stärken und vor allem auch seine Schwächen kennenzulernen. Aufbauend auf soliden Grundkenntnissen ist es dann die Aufgabe jedes einzelnen, das Ju-Jutsu individuell zu interpretieren und letztlich seinen eigenen Stil zu finden. Dies ist unsere Auffassung von „Kampfkunst“, die sich auch auf andere Bereiche des Lebens übertragen lässt.

 

Im November 1984 bestanden Johann und ich in Prien die Prüfung zum schwarzen Gürtel. Wir waren damit die ersten Schwarzgurtträger, die aus der Ju-Jutsu-Abteilung des WSV Aschau hervorgingen. Ein weiterer wichtiger Schritt waren die ersten Ju-Jutsu-Wettkämpfe im Oktober 1985 in Germering. Das Thema Wettkampf war damals heiß umstritten, da die Traditionalisten innerhalb des Verbandes den Wettkampf als Verwässerung des Systems empfanden und ablehnten. Die Entwicklung zum Wettkampf war jedoch nicht aufzuhalten und für die weitere Perfektionierung unseres Sports auch notwendig. Natürlich ist der Wettkampf zur Vermeidung von Verletzungen streng reglementiert, so dass viele der reinrassigen Ju-Jutsu-Techniken nicht zur Anwendung kommen. Andererseits bietet der Wettkampf die Möglichkeit, Grundfähigkeiten des Kämpfers (z.B. Kondition, Koordination, Schnelligkeit, Kraft, Dynamik, Durchhaltevermögen) unter realistischen Rahmenbedingungen zu trainieren. Im Wettkampf kann insbesondere auch ausprobiert werden, welche Techniken in der Praxis funktionieren und welche nicht. Im Ergebnis hat der Wettkampf somit zu einer weiteren Verbesserung unseres Systems beigetragen. Wir haben uns damals im Gegensatz zur Münchener Schule entschlossen, an den ersten Südbayerischen Meisterschaften teilzunehmen. Johann Guggenbichler belegte in seiner Gewichtsklasse den dritten Platz, ich selbst wurde zu meiner eigenen Überraschung in meiner Klasse erster. Das positive Bild wurde durch die Platzierungen von Rupert Wackerbauer und Horst Wagner unter den ersten fünf ihrer Gewichtsklasse abgerundet.

 

Die nächste Generation

Durch die Erfolge im technischen Bereich und im Wettkampf steigerte sich das Interesse am Ju-Jutsu spürbar. Viele von denen, die damals ein Probetraining absolvierten sind auch heute noch dabei. Ein entscheidender Augenblick in der Vereinsgeschichte war derjenige Freitagabend im Jahr 1986, an dem zum ersten mal Markus Sajnovic und Andreas Bielmeier die Matte zum Probetraining betraten. Während bei manch anderem nach anfänglicher Euphorie die Begeisterung nach einer gewissen Zeit nachließ, war bei Markus und Andreas genau das Gegenteil der Fall. Das normale Vereinstraining war ihnen schnell zu wenig und wurde durch privates Training ergänzt. Dabei übertrugen sie ihre Begeisterung auch auf jüngere Schülerinnen und Schüler und zogen diese mit. Uns war bald klar, dass hier die nächste Führungsgeneration heranwuchs. Die Zeit hierfür war reif, denn die Abteilung bekam immer mehr Zulauf und Johann und ich waren infolge unserer wachsenden beruflichen Verpflichtungen nicht mehr in der Lage, alle Aufgaben umfassend zu erfüllen. Markus und Andreas wuchsen nahtlos in die Position der Vereinstrainer hinein und 1992 habe ich die Abteilungsleitung an Markus abgegeben. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass sich im Lauf der Jahre eine ausgeprägte Teamarbeit entwickelt hat und auch andere in hervorragender Weise Verantwortung für die Abteilung übernommen haben. So steht derzeit ein fester Stamm von Übungsleitern zur Verfügung, die das vielschichtige Training spezialisiert betreuen. Neben Rosi Kink (Frauen-Selbstverteidigung) sind hier z. B. zu nennen Gerald Helbig und Christian Pertl.

 

Selbstverständlich wäre dieser Rückblick unvollständig, würde man das Thema Ju-Jutsu-Wettkammpf nicht nochmals in Verbindung mit Markus Sajnovic und Torsten Gruber aufgreifen. Neben der Arbeit für den Verein hat es Markus nämlich geschafft, einer der mit Abstand erfolgreichsten deutschen Ju-Jutsu-Wettkämpfer zu werden. Zwischen 1989 und 1997 holte er eine Vielzahl nationaler und internationaler Spitzentitel nach Aschau. Er wurde in seiner Gewichtsklasse mehrfacher Deutscher Jugendmeister und kämpfte auch in der Erwachsenenklasse sofort an der Spitze mit. Mehrere Deutsche und Internationale Deutsche Meistertitel zeugen von einer außergewöhnlichen Kampfsportkarriere, die ihresgleichen sucht. Wir haben in dieser Festschrift einen eigenen Artikel eingerichtet, der sich detailliert mit den Aschauer Wettkampferfolgen befasst und die Erfolge von Markus Sajnovic im einzelnen darstellt. An dieser Stelle erscheint es für mich wichtiger darauf hinzuweisen, dass Markus trotz seiner herausragenden Wettkampfaktivität stets ein zuverlässiger, symphatischer und auch bescheidener Sportkamerad geblieben ist, dem seine Erfolge nie zu Kopf stiegen. Darüber hinaus hat er trotz seiner Wettkampferfolge stets die Betreuung und Fortentwicklung unserer Abteilung an die erste Stelle gesetzt.

In gleicher Weise hervorzuheben ist Torsten Gruber, der in den Jahren 1993 bis 1997 ebenfalls eine herausragende Erfolgsbilanz aufzuweisen hat. Torsten errang sowohl in der Jugend-, als auch in der Erwachsenenklasse mehrfach Bayerische und Deutsche Meistertitel. Die einzelnen Erfolge sind in unserem speziellen Wettkampfartikel dargestellt. Einer der Höhepunkte war hierbei sicherlich das gleichzeitige Erringen der Deutschen und internationalen Deutschen Meisterschaft 1995 von Markus (Herren bis 80 kg) und Torsten (Jugend bis 80 kg).

 

Ausblick

Die Entwicklung der Ju-Jutsu-Abteilung des WSV Aschau ist auch nach 20 Jahren noch lange nicht abgeschlossen. Das Interesse am Aschauer Ju-Jutsu ist nach wie vor ungebrochen, insbesondere bei der Jugend. Gerade in der heutigen Zeit ist dies besonders erfreulich und bedeutet für die Abteilungsleitung eine spezielle Verpflichtung. Wenngleich der Sportverein nicht die erzieherische Aufgabe des Elternhauses übernehmen kann, sollte das regelmäßige Training miteinander und das damit verbundene Verantwortungsgefühl füreinander die Persönlichkeitsentwicklung positiv fördern. Wettkampferfolge sind schön und wichtig, sie stehen jedoch nicht im Vordergrund. Der Weg geht von der soliden Technikschulung zum Wettkampf und nicht umgekehrt. Dies war bei allen unseren Kämpfern so und wird auch in Zukunft so bleiben. Zudem ist der Wettkampf nur für die kleine Gruppe derjenigen bestimmt, die das Ju-Jutsu als Leistungssport betreiben wollen. Unsere Zielgruppe bleibt die große Anzahl derjenigen, die Freude an ausgewogener körperlicher Betätigung haben und zugleich an Kampfsport und Selbstverteidigung interessiert sind. Alter oder aktueller Trainingszustand spielen hierbei keine Rolle. Durch ein erweitertes Angebot, z.B. Kinderkurse und Frauenselbstverteidigung, wollen wir diese Zielgruppe auch weiterhin ansprechen. Besondere Bedeutung werden auch in Zukunft unsere Aktivitäten außerhalb der Matte haben, z.B. Bergwandern, Hüttenwochenende oder gemeinsame Mountainbike-Touren. Hierdurch wird das „Gemeinschaftserlebnis Ju-Jutsu-Aschau“ abgerundet.

 

Die nächste Generation hat sich auf der Matte bereits eindrucksvoll angemeldet. Die nächsten 20 Jahre können beginnen.

 

 

von Andreas Pfingstl (2008)

Zehn Jahre sind seit dem Artikel von Wolfgang nun vergangen und inzwischen ist die nächste und sogar die übernächste Generation herangewachsen, gereift und gestaltet fleißig das Training und dessen Inhalte mit.

Das Kampfkunstangebot in Aschau hat sich stark erweitert und gewandelt. Das Ju-Jutsu ist nach wie vor vertreten, aber Kampfkünste und Systeme wie das Jeet Kune Do, Bruce Lees Kampfkunstphilosphie, das PFS, Paul Vunaks Straßenkampfsystem, oder das Kali, eine philippinische Kampfkunst die auf den Waffen Schwert, Messer und Stock basiert, prägen ebenfalls das Training. Im Raum Rosenheim, im Herzen des Chiemgaus und im Priener Umkreis sind wir der einzige lizenzierte Anbieter des Progressive Fighting Systems und des JKD. Dies unterstreicht den Fokus der Ju-Jutsu Abteilung in Aschau, die Selbstverteidigung. Dafür sind wir auch bereit und motiviert andere Wege außerhalb des Ju-Jutsus zu begehen.

Um den Spagat zwischen Tradition und Moderne zu bestehen, gibt es nur eine Möglichkeit: Den Fokus auf die effizientesten Möglichkeiten einen Kampf zu gewinnen zu richten. Da diese Möglichkeiten sehr stark am praktizierendem Indivuum hängen, ist es nötig den Schülern Optionen zu bieten, die ihnen ermöglichen ihren ganz eigenen kampfkünstlerischen Weg zu finden, unabhängig von reglementierenden Systemen oder anderen Begrenzungen.

 

 

 

 

 

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Einblicke in das Abteilungsleben gibt es auf Instagram jujutsu_aschau.

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